Verleihung des 11. Dr. Holger Müller Preises: Dr. Lena-Luise Becker für Forschungsarbeit ausgezeichnet

11.05.2023 — 

Gen identifiziert und neue Therapie für junge Patientin mit seltener Erkrankung entwickelt: Dr. Lena-Luise Becker erhält Dr. Holger Müller Preis 2022

Esslingen. Einen entscheidenden Beitrag zur Erforschung und Therapie seltener Gefäßerkrankungen leistete Dr. Lena-Luise Becker, Assistenzärztin an der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Für ihre Arbeit „Interferon receptor dysfunction in a child with malignant atrophic papulosis and CNS involvement“[1] wurde sie am 11.05.2023 in feierlichem Rahmen in der Schickhardthalle im Alten Rathaus in Esslingen mit dem Dr. Holger Müller Preis 2022 ausgezeichnet.
Der mit 5.000 Euro dotierte Preis ehrt herausragende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf dem Gebiet der seltenen Erkrankungen.

Ihr Artikel, der im August 2022 in der renommierten Fachzeitschrift The Lancet Neurology erschien, handelt von ihrer Arbeit zur Kohlmeier-Degos Krankheit, auch Benigne Atrophische Papulose genannt. Dies ist eine sehr seltene Gefäßkrankheit. Weltweit sind weniger als 100 Betroffene bekannt. Charakteristisch für diese Erkrankung sind Veränderungen der Haut. Zusätzlich können aber auch innere Organe betroffen sein. In diesem Fall spricht man von Maligner Atrophischer Papulose (MAP). Bei Patientinnen und Patienten mit MAP schreitet die Erkrankung schnell fort und verläuft meist innerhalb von zwei Jahren tödlich.[2] Bislang waren weder die Ursache noch eine effektive Therapie, um das Fortschreiten zu stoppen, bekannt gewesen.

An der Charité – Universitätsmedizin Berlin wurde 2019 eine 9-jährige Patientin mit MAP und einer fortschreitenden Muskellähmung in Armen und Beinen, einer Epilepsie und einer schweren Beeinträchtigung des Hörens und Sehens vorgestellt. Bisherige Therapieversuche hatten die Erkrankung nicht aufhalten können.

Gemeinsam mit ihrem Forschungsteam der Charité – Universitätsmedizin Berlin und der Universität Greifswald sowie mit weiteren Kolleginnen und Kollegen verschiedener Fachrichtungen führte Dr. Lena-Luise Becker zunächst eine ausführliche DNA-Analyse bei der Patientin mit MAP sowie ihren Eltern durch, um die Krankheitsursache herauszufinden.

„Eine umfassende Diagnostik und insbesondere eine detaillierte genetische Untersuchung, auch jenseits der sonst für das Krankheitsbild üblichen Vorgehensweise“ ist für Dr. Lena-Luise Becker im Hinblick auf die generelle Erforschung seltener Erkrankungen entscheidend. Auch die Arbeit im interdisziplinären Team aus klinischen Spezialistinnen und Spezialisten sowie Grundlagenforschenden war für sie ein entscheidender Schlüssel, „um die Ursachen dieser seltenen Erkrankung zu ergründen und schlussendlich dem Mädchen zu helfen“.

Bei der DNA-Analyse identifizierte das Forschungsteam eine unbekannte Genmutation im Interferon-Rezeptor IFNAR1. An diesem Rezeptor binden Interferone und andere körpereigene Botenstoffe, die bei Reaktionen des Immunsystems, zum Beispiel auf eine Virusinfektion, gebildet werden.[3]

Die entdeckte Genmutation verursachte eine übermäßige Immunreaktion, die bei der Patientin zu den Schäden im Gehirn führte. Basierend auf diesen Erkenntnissen forschte das Team nun nach einer gezielten Therapie.

Die Behandlung mit einem Medikament, das die überaktive Immunreaktion teilweise unterdrückt, führte zu einer kurzzeitigen Stabilisierung des Gesundheitszustands. Die zusätzliche Gabe eines Präparats, das direkt den Interferon-Rezeptor hemmt, bewirkte schließlich eine vollständige neurologische Stabilisation sowie die Normalisierung der Immunantwort.

Den Forschenden um Dr. Lena-Luise Becker gelang es mit ihrer Studie zum ersten Mal zu zeigen, dass MAP durch eine Genvariante ausgelöst werden kann und diese zu einer übermäßigen Entzündungsreaktion führt. Des Weiteren präsentierten sie Daten, dass eine therapeutische Hemmung dieser Reaktion die junge Patientin stabilisieren konnte und sich die bestehende übermäßige Entzündungsreaktion normalisierte.[4] Für diese Veröffentlichung im renommierten Fachjournal The Lancet Neurology wurde Dr. Lena-Luise Becker mit dem Dr. Holger Müller Preis 2022 ausgezeichnet.

„Die Auszeichnung mit dem Dr. Holger Müller Preis bedeutet mir in meiner noch jungen Karriere unwahrscheinlich viel. (…) Außerdem bin ich sehr dankbar für diese Würdigung meines bisherigen Engagements, verstehe sie aber gleichwohl auch als Auftrag mich weiter intensiv für Kinder mit seltenen Erkrankungen einzusetzen.“

Im Rahmen einer aktuellen internationalen Kollaboration sollen weitere Patientinnen und Patienten genetisch untersucht und dadurch die Betroffenen gefunden werden, denen die beschriebene medikamentöse Therapie helfen kann.

In Kooperation mit der Dr. Holger Müller Stiftung lobt die Care-for-Rare Foundation seit 2011 jährlich den mit 5.000 Euro dotierten Wissenschaftspreis aus, der einzelne Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler oder eine Gruppe, die im jeweiligen Vorjahr einen wegweisenden wissenschaftlichen Beitrag zu seltenen Erkrankungen veröffentlicht haben, auszeichnet. So sollen Forschende ermutigt werden, sich der dringend nötigen Erforschung seltener Krankheiten zu widmen.

 

Impressionen der Preisverleihung

(c) Dr. Holger Müller Stiftung / Dominique Brewing

Portrait der Preisträgerin

[1] Becker, Lena-Luise/Ebstein, Frédéric/Horn, Denise/Zouboulis, Christos C/Krüger, Elke/Kaindl, Angelika M et al. (2022): Interferon receptor dysfunction in a child with malignant atrophic papulosis and CNS involvement, in: The Lancet Neurology, Volume 21, Issue 8, S. 682-686, [online] doi: https://doi.org/10.1016/S1474-4422(22)00167-3.

[2] Orphanet (04.2013): Papulose, atrophische maligne, [online] https://www.orpha.net/consor/cgi-bin/Disease_Search.php?lng=DE&data_id=8660&Disease_Disease_Search_diseaseGroup=Kohlmeier&Disease_Disease_Search_diseaseType=Pat&Krankheite(n)/Krankheitsgruppe=Papulose–atrophische-maligne&title=Papulose,%20atrophische%20maligne&search=Disease_Search_Simple [abgerufen am 24.04.2023].

[3] Lexikon der Biologie (spektrum.de) (2011): Interferone, [online] https://www.spektrum.de/lexikon/biologie/interferone/34289 [abgerufen am 25.04.2023].

[4] idw – Informationsdienst Wissenschaft (22.08.2022): Grundlagenforschung identifiziert Ursache und neue Therapie für seltene Krankheit, [online] https://idw-online.de/de/news800008 [abgerufen am 24.04.2023].