16.03.2015
Für jüngste Erfolge in der Erforschung des seltenen Kabuki-Syndroms erhalten die Nachwuchswissenschaftlerinnen Dr. Nina Bögershausen vom Institut für Humangenetik der Universitätsmedizin Göttingen und Dr. I-Chun Tsai von der Duke University, Durham, USA, den Dr. Holger Müller Preis 2015. In einer feierlichen Zeremonie wurde der mit 5.000 Euro dotierte Preis am 16. März um 19 Uhr im alten Rathaus in Esslingen verliehen. Die Schirmherrschaft hatte der Vizepräsident des baden-württembergischen Landtags, Wolfgang Drexler, inne.
Einer internationalen Forschergruppe ist es gelungen, neue Ursachen für die Entstehung des sogenannten Kabuki-Syndroms zu identifizieren. Das Kabuki-Syndrom ist eine seltene Erkrankung, die nach einer traditionellen japanischen Form des Theaters benannt wurde, da die Gesichtsmerkmale an die dort verwendete Maske erinnern. Die betroffenen Patienten zeigen neben typischen Gesichtszügen vielfältige Auffälligkeiten in verschiedensten Organen, assoziiert mit variablen Störungen des Immunsystems. Das Team um Professor Bernd Wollnik vom Institut für Humangenetik der Universitätsmedizin Göttingen hat nicht nur zwei neue Gendefekte entdeckt, die für das Kabuki-Syndrom verantwortlich sind, sondern darüber hinaus auch die Krankheitsmechanismen dieser sehr seltenen Erbkrankheit aufgeklärt. Die Forscher hatten auch die mögliche Therapie betroffener Patienten im Blick; sie konnten zeigen, dass die Konsequenzen der Gendefekte medikamentös beeinflussbar sind und hoffen, dadurch neue Akzente für die Entwicklung pharmakologischer Behandlungsmöglichkeiten für Patienten mit Kabuki-Syndrom gesetzt zu haben. Die Erstautorinnen Dr. Nina Bögershausen und Dr. I-Chun Tsai werden für die Veröffentlichung dieser Ergebnisse im renommierten „Journal of Clinical Investigation“ nun mit dem Dr. Holger Müller Preis 2015 ausgezeichnet.
Dieser Forschungserfolg ermöglicht einerseits eine bessere klinische und genetische Diagnosestellung für Kinder mit Kabuki-Syndrom: Betroffenen Familien kann zukünftig eine Odyssee von Arzt zu Arzt zur Ursachensuche erspart werden, die klinische interdisziplinäre Betreuung kann zielgerichtet organisiert werden. Andererseits können die neuen Erkenntnisse wegweisend für die Entwicklung innovativer therapeutischer Strategien für Menschen mit Kabuki-Syndrom und anderen seltenen Erkrankungen sein: „Die Erforschung zellulärer Veränderungen bei seltenen Erkrankungen birgt immer auch die Chance, allgemeinere Mechanismen zu verstehen, die für eine größere Zahl von Menschen, wenn nicht gar für uns alle, von Relevanz sind“, erklärt Dr. Nina Bögershausen. „Im Falle des Kabuki-Syndroms ist es wichtig zu wissen, dass die bekannten Gene KMT2D und KDM6A auch eine wichtige Rolle bei der Entstehung verschiedener Tumore, z. B. von Glioblastomen, spielen. Möglicherweise könnten unsere Forschungsergebnisse also auch als Denkanstöße für die Krebsforschung dienen. Mich als Ärztin und Wissenschaftlerin fasziniert die Frage: Können wir über eine neue genetische Veränderung besser verstehen, warum sich eine bestimmte Krankheit auf eine bestimmte Weise manifestiert?“
Bereits zum fünften Mal wird der Dr. Holger Müller Preis für eine herausragende Publikation auf dem Gebiet der seltenen Erkrankungen verliehen. In Kooperation mit der Dr. Holger Müller Stiftung lobt die Care-for-Rare Foundation seit 2011 jährlich den mit 5.000 Euro dotierten Wissenschaftspreis aus, der einzelne Wissenschaftler oder eine Gruppe, die im jeweiligen Vorjahr einen herausragenden wissenschaftlichen Beitrag zu seltenen Erkrankungen veröffentlicht haben, auszeichnet. So sollen junge Wissenschaftler ermutigt werden, sich verstärkt der dringend notwendigen Erforschung seltener Krankheiten zu widmen. Die junge Preisträgerin über die Auszeichnung: „Wir freuen uns sehr, dass unser jahrelanges Engagement für die Erforschung seltener Erkrankungen durch den Dr. Holger Müller Preis ausgezeichnet und damit auch in der Öffentlichkeit vermehrt wahrgenommen wird.“